Silver

„Frohes neues Jahr!“ riefen wir alle, als die Turmuhr zwölf schlug. Das Jahr 2012 war nun vergangen und nun war endlich 2013 gekommen. Die Welt war nicht untergegangen, wie sie prophezeit hatten und nun war alles wieder gut. „Du kommst dieses Jahr in die Oberstufe, nicht? Na dann, mach einen guten Abschluss von deiner 10. Klasse. Wäre das nicht ein schöner Vorsatz für dich, Steve?“ fragte mich mein Vater und ich seufzte nur. „Klar, muss nur schauen, ob ich das auch schaffe“ antwortete ich und dachte an meine bisherigen Noten. So gut sah es ja nicht für mich aus, ich konnte mich aber auch einfach nicht auf die Schule konzentrieren. Es gab so viele wichtigere Dinge zu tun, wie zocken, online irgendetwas schreiben oder einfach nur Youtube. Wie sollte denn da die Schule, dieser Ort zu dem ich gezwungen wurde, hinzugehen, interessant sein? „Na dann, lasst uns rausgehen“ sagte meine Mutter dann und wir alle folgten ihr. Meine komplette Familie war da um Silvester bei uns zu feiern. Am liebsten hätte ich mich aber jetzt nur an den PC gesetzt und allen ein schönes neues Jahr gewünscht.
Die schönen Ferien waren vorbei und die Schule fing wieder an. „Na was habt ihr euch für dieses Jahr vorgenommen?“ fragte uns unsere Lehrerin. Da kamen keine sehr enthusiastischen Antworten. Man frage auch Jugendliche was sie sich vorgenommen hatten. Waren wir etwa noch so kleine Kinder? Also echt. „Steve, fang du doch bitte an“ sprach diese Frau nun mich an. Natürlich ich, nur weil ich gezwungenermaßen in der ersten Reihe saß. „Nichts besonderes. In die Oberstufe kommen und sonst, Spaß haben?“ antwortete ich mit einer Gegenfrage. Sofort fingen alle an zu lachen. „Also echt, Steve, das Jahr 2013 hat gerade erst begonnen. Du solltest dir echt etwas vornehmen, das du dieses Jahr erreichen willst, sonst endet es so wie jedes Jahr bei so vielen Leuten, dass sie am Ende bemerken, was sie hatten machen wollen. Das bringt mich zu einem interessanten Thema...“ Und sie laberte und laberte weiter, was mich nicht einmal interessierte. Ich schaltete ab und sah nach draußen. Etwas Schnee lag noch auf den Dächern, aber so wie der Himmel aussah, würde noch mehr kommen. „Cooles Shirt“ raunte mir mein Banknachbar zu, den ich gerade nicht einmal an der Stimme erkannte. Ich sah an mir runter. Was war daran cool? Irgendein stinknormales Shirt das ich heute morgen aus dem Schrank gegriffen hatte. Da war nicht einmal etwas drauf gedruckt, sondern es war einfach schwarz. Meine Hose war außerdem auch schwarz, was wohl daran lag, dass ich alle anderen versaut hatte. „Steve, komm doch bitte nach vorne und löse die Aufgabe an der Tafel“ rief mich meine Lehrerin aus meinen Erinnerungen. Wie war sie von ihrem äußerst wichtigen Thema jetzt darauf gekommen? Ach egal, ich stand auf und ging nach vorne. Nur was da an der Tafel stand, wusste ich nicht einmal. Wie sollte ich denn bitte schön so etwas Mathematisches lösen! Ach verdammt, ich hasse Schule echt!

„Als was kommt ihr morgen in die Schule?“ fragte einer aus meiner Klasse rund. Ich achtete gar nicht weiter darauf. Stimmt ja, es war ja Karneval. Da würden sich alle morgen besaufen und in irgendeiner Ecke liegen. Ich war da leicht anders. Naja, leicht... Ich trank nicht so viel. Mein Körper vertrug das nicht und ich hatte es akzeptiert. „Hey, Steve. Was hast du morgen so vor?“ fragte mich mein Banknachbar. Ich hatte ganz vergessen, dass da jemand saß. Sonst saß ich meist alleine, nur in diesem Raum nicht. „Weiß noch nicht. Ich schaue mal, da wird sicher irgendetwas kommen“ antwortete ich wahrheitsgemäß. „Langweilig! Wie kann man das noch nicht geplant haben!“ rief er sofort und die komplette Klasse drehte sich zu mir um. Ich hasste es, im Mittelpunkt zu stehen. „Kannst ja mit auf die Feier kommen. Wer verkleidet kommt, hat freien Eintritt“ schlug irgendjemand in der hinteren Ecke vor. Ich sah nicht dahin. „Ich schaue mal“ murrte ich nur, auch wenn meine Antwort sicher NEIN war. Ich wollte auf keine Party, da morgen Abend schon war etwas anders geplant war. Wie, zum Beispiel, war ich gerade ein Spiel am entwickeln. Das hatte Vorrang. Und wenn ich schon einmal keine Schule Freitags hatte, musste ich bis zum Morgen daran arbeiten. Es war wie eine Sucht fast schon, machte aber tausend Mal mehr Spaß als jede komische Sucht. „Außenseiter“ hörte ich jemanden murmeln, ignorierte es aber gekonnte. Sollten sie doch reden, was sie wollen. Ich war glücklich damit. Meine Hand glitt über das Blatt vor mir und ich entwickelte gerade eine Landschaft für das Spiel. Eine große Stadt, an der ich schon seit Monaten arbeitete. Eher gesagt, seit Weihnachten. Überall sollte es Hochhäuser geben, die man erkunden konnte. Man sollte Hinweise finden müssen. Außerdem sollte man mit allen Leuten da reden können, was an sich schon ein riesiges Projekt war. Gerade einmal war ich mit den Grundrissen weniger Gebäude fertig, das meiste existierte aber nur als Skizze in meinem Block. Die Blätter hingen an meinen Wänden, damit ich sie mir immer wieder ansehen konnte und verbessern. Das würde sicher lustig werden, morgen am Nachmittag anzufangen und durchzuarbeiten. Hasch ja, es gab so viel zu tun...

„Hey, wo ist das Jahr hin? Waren nicht gestern erst Sommerferien?“ fragte mich jemand. Ich achtete nicht einmal darauf, wer es fragte. Irgendwer, der neben mir saß. Ich kannte hier Keinen mehr, weil wir ja keine Klasse mehr waren. Die Kurse, die komplett gemischt waren, waren echt verwirrend. Und ich hatte mir ja noch nie wirklich gut Namen merken können, das war auch nicht besser geworden. „Du programmierst selber, nicht wahr?“ wurde ich dann weiter gefragt. Anscheinend war dieser Weihnachtsfilm, den unser Lehrer uns unbedingt hatte zeigen wollen, so langweilig, dass er glatt keinen interessierte (was auch kein Wunder war). Ich nickte nur und grizelte etwas weiter auf meinem Block. „Was denn so?“ wurde ich gelöchert, antwortete aber kaum. Denn meine Gedanken waren bei dem Spiel. An Weihnachten sollte es fertig sein. Spätestens... Hoffentlich. Es war so ein komplexes Abenteuer geworden und ich hatte so viel Mühe hineingesteckt, dass ich wirklich nun schon fast ein Jahr daran saß. Als mein Nachbar bemerkte, dass ich nicht antwortete, wandte er sich murrend ab und redete mit den anderen. Ich kritzelte weiter die Events auf meinen Tisch, die ich noch einbauen musste, die Landschaften, bei denen noch etwas nicht stimmte und mich störte. In meinem Kopf hatte alles ein klares Bild und wenn dies nicht im Spiel zu finden war, dann war es halt falsch und musste verbessert werden.
Die Klingel riss mich aus meinen Gedanken. „Frohe Weihnachten und einen guten Rutsch!“ rief uns unser Lehrer nach, nachdem die Meisten aber schon raus gestürmt waren. Ich ging direkt los. Endlich war Schule aus! „Dann an die Arbeit“ murmelte ich mir selbst zu und rannte los. Auch wenn man es mir nicht anmerkte, ich war verdammt gut in Sport und konnte schnell rennen. Daher war ich auch direkt zu Hause, schmiss meine Sachen einfach in eine Ecke und gab mich an meinen PC.
„Fröhliche Weihnacht überall tönet durch die Lüfte, froher Schall~“ Diese ganzen Weihnachtlieder gingen mir so was von auf die Nerven! Morgen war Heiligabend und schon heute wollten sie sich darauf einstellen. Ich aber ignorierte alle, wandte mich meiner Arbeit zu. Nur noch die letzten kleinen Einstellungen, und ich wäre fertig. Meine Gedanken kreisten nur noch um diese Ebenen, die ich erstellt hatte, um die fast täuschend echte Sonne, die über meinen Bildschirm in mein Gesicht schien. Ich legte mich ins Bett und schlief schnell ein. Selbst meine Träume drehten sich darum, was ich fertig gestellt hatte. Und der Name lautete: 'Was zwischen den Jahren 2012 und 2013 geschah!'
Ein Lächeln umspielte meine Lippen, als ich morgens wach wurde. Die dicke Federdecke lag auf mir und hielt mich warm. In meinem eigentlichen Bett hatte ich eine Wolldecke, die immer so kalt war. Sie war auch schon sehr kaputt, das musste man schon sagen. Hier dieses so kuschelige Bett war meines, diese Decke, die so warmhielt, war meine. „Steve! Aufstehen! Der Weihnachtsmorgen bricht doch wohl nicht schon wieder so plötzlich über dich ein, dass du noch schläfst, oder!“ hörte ich eine Frauenstimme zu mir hoch schallen. Sofort war ich auf den Beinen und lief zu meinem Schrank. „Natürlich nicht, Anne!“ rief ich zurück und suchte meine grünen Klamotten heraus. Es war ein traditionelles Gewand, dass ich nur zu dieser Zeit anzog. Ich streifte es mit schnellen Handgriffen über und sah mich im Spiegel an. Meine Ohren waren länger geworden und spitz. Von meiner Schläfe an bis zu meinem Kinn zog sich ein verwirrendes Muster, aber nur auf der linken Seite. Es ließ mein Gesicht geheimnisvoll wirken. Ich lächelte, als alles zurecht gezupft war und rannte dann schnell nach unten. Eine etwas ründlichere Frau empfing mich mit offenen Armen. „Schön, dich wieder zu sehen, Steve. Ist etwa schon wieder ein Jahr vergangen?“ fragte sie mich und ich lachte. „Ja, Mutter. Aber was anderes, wo sind John und Kate?“ fragte ich und sie lachte nur. Anne wandte sich von mir ab und sah zum Fenster. Schon knallte der erste Schneeball gegen die Scheibe. „Ich glaube, sie haben dich auch erwartet“ raunte sie mir zu und gab mir einen leichten Stoß in den Rücken. „Lauf schon los“ rief sie und schon war ich aus der Tür. Der erste Schneeball verfehlte mich nur knapp, beim Zweiten musste ich leider getroffen werden. Denn gerade hatte ich auch einen gemacht, um den Angriff zu erwidern. Auf meinem Rücken breiteten sich Flügel aus und direkt war ich in der Luft. „Das ist unfair!“ rief Kate und kam zu mir hoch. „Wir haben das extra wegen dir gelassen“ beschwerte sich nun auch John. Ich nahm die Beiden aber nur kurz in den Arm. „Schön, euch wiederzusehen“ antwortete ich nur. Wir sahen uns an und landeten wieder. „Ist es nicht komisch, ein Jahr lang ein Mensch zu sein und dann nur eine Woche lang, von Weihnachten an, zu uns in die Magiewelt nach Hause zu kommen?“ fragte John direkt und ich lachte. „Es ist komisch, aber irgendwie auch toll. Man freut sich ein Jahr lang darauf, euch wieder zu sehen und euch mit Schnee zu beschmeißen“ antwortete ich und trat etwas Schnee in sein Gesicht. Kate warf aber direkt einen Schneeball in meinen Rücken und ich lachte. „Ach ja?“ fragte auch John und griff mich an. Daraus wurde eine wilde Schneeschlacht, die so verwirrend war, da jeder Jeden traf, dass man sie gar nicht beschreiben konnte.
„Na dann, wollen wir auf Wanderschaft gehen?“ fragte Kate in die Runde. „Na klar!“ rief ich und stand direkt wieder. Während dem Gehen unterhielten wir uns über das Jahr. „Was ist bei dir eigentlich so passiert?“ fragte John und ich seufzte. „Ich bin jetzt in der Oberstufe, das hieße, mehr lernen, wenn man es nicht eh schon könnte. Naja, ansonsten, ich habe nicht wirklich etwas in dem Jahr erlebt. Ach ja, das Spiel über das letzte Mal ist fertig und ich habe es dabei“ fügte ich am Ende noch hinzu und ich wurde aus zwei Gesichtern freudig angesehen. „Ist sonst wirklich nichts passiert?“ fragte Kate und lächelte so komisch. „Wenn du meinst, nein, ich habe keine Freundin gefunden. Sicher nicht bei den Menschen, wer wäre ich denn dann“ antwortete ich grinsend und stieß sie zurück. Wir lachten zusammen und erkundeten etwas die Gegend. Der blaue Himmel ließ die Ebene so weit wirken, der Schnee glitzerte und reflektierte das Sonnenlicht. Es war schon fast schwer, die Augen bei dieser Helligkeit offen zu halten. Ich lächelte aber leicht und es ging weiter. „Hast du in dem Spiel erklärt, was da los war?“ fragte mich John und ich nickte nur. „Das wir alle magische Wesen sind, die ihre Lebenszeit teilweise in der Menschenwelt verbringen müssen, als 'normale Menschen'. Und das wir immer an Weihnachten hier aufwachen und zusammen Spaß haben können, bis das neue Jahr anfängt. So wie immer“ erklärte ich und wir umarmten uns kurz noch einmal.

Nach einer Woche war der Zauber wieder vorbei. Ich wachte in meinem kalten Bett auf in meinem kalten Zimmer. Ich stand auf, zog mir meine normalen Klamotten an und setzte mich an den PC. „Na dann, fangen wir an, was zwischen den Jahren 2013 und 2014 passiert ist, zu programmieren“ murmelte ich und grinste.